Auf dem Seewege rund um Großbritannien - Teil 3: Intermezzo Nordirland
- Gabi Quiatek
- 11. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Heute habe ich frei und kann das Gefühl des Fahrgastes genießen, denn für Belfast und die nordirische Küste habe ich unseren alten Bekannten Rainer engagiert.
Dennoch stehe ich Gewehr bei Fuß am Schiffsausgang, sobald die Schotten geöffnet werden. Das Personal, das die Bordpässe zum Landgang scannt, muss auch denken, ich wäre ständig auf der Flucht.

Aber ich muss doch wenigstens sofort wissen, wo Rainer und der Bus von Quinn Coaches sich verstecken, damit ich zur Treffpunktzeit meine Lieben alle in die richtige Richtung manövriere.
Nordirland also heute. Ich war bereits einige Male im Rahmen einer unserer Rundreisen dort, sehr angetan von der Landschaft und interessiert an, wenn auch erschüttert von der Geschichte dieses kleinen, zum Vereingten Königreich gehörenden Zipfels im Norden der irischen Insel.
Man sollte sich schon ein wenig vorinformieren über die Historie, um die geballte Wucht an unionistischen und republikanischen Symbolen, Zeichen und Manifestationen in vielen Stadtvieteln zu begreifen. Wobei, begreifen wird man es nicht wirklich, geht es doch immer noch um die Spaltung der Menschen, die sich eigentlich friedlich vertragen sollten, anstatt die schreckliche Historie immer wieder zu zelebrieren.
Zum Verständnis, oder ich sollte besser einfach nur von „Wissen“ sprechen, hier ein paar Hintergrundinformationen:
1701 - Es ist beschlossene Sache, kein Monarch darf mehr katholisch sein und auch keinen katholischen Partner haben.
Es ist am Ruder : James II aus dem Hause Stuart, die schottische Dynastie, deren Abkömmling James I, als erster König in Personalunion auf zwei Thronen sitzt, dem englischen und dem schottischen. Das hätte ich gern mal gesehen wie er das macht. Aber Du weißt schon, ich scherze gern über solche Floskeln.
Der gute James ist Protestant, alles läuft perfekt bis zu einem seiner Enkel, ebenfalls ein James, der am katholischen Glauben festhält.
Warum auch immer dessen Töchter wiederum protestantisch erzogen werden, dieses Gewirre werde ich nie verstehen. Die erste, Mary, glaubt also an das Richtige und wird zusammen mit dem ihr zugewiesenen Gatten Wilhelm von Oranien auf den Thron gehievt. Da hat man extra seine Fühler bis in die protestantischen Niederlande ausgestreckt, um auf Nummer Sicher zu gehen. Doppelt protestantisch hält besser.
James II muss weg, er geht ins katholische Irland, wo er sich Unterstützung erhofft. Der Schwiegersohn nichts wie hinterher, und am Fluss Boyne wird James‘ Wunschdenken ein Ende bereitet. Man kannte damals keine Verwandten.

Die Engländer pflanzen sich in Irland ein, und fortan feiert der protestantische Orden der Oranier, Orange Order, jedes Jahr den Sieg über die Katholiken. Dabei versteht es sich anscheinend von selbst, dass man die festlichen Märsche passgenau in Belfast auch durch katholische Viertel laufen lässt. Eine Provokation für die Bevölkerung dort. Es wächst sich aus zu üblen Feindseligkeiten, die als Troubles in die Geschichte eingehen. Troubles, wörtlich übersetzt mit „Ärger“, ist recht harmlos ausgedrückt für das, was in Nordirland passiert. Katholiken und Protestanten werden voneinander getrennt, da selbst früher befreundete Familien aufeinander losgehen, wobei Steine werfen und bespucken noch zu den harmloseren Dingen gehören. Es fliegen Bomben, entsprechend „ungünstig“ liegende Viertel werden mit einer Mauer mit Stacheldraht und verriegelbaren Schutztoren versehen.
So ist es heute noch, wobei die Berichterstattung im Ausland das Thema nicht mehr so auf der Agenda hat, weil die Bomberei ein Ende gefunden hat. Doch feindselig ist man her und da immer noch gegeneinander, und Rainer wird uns genau davon erzählen, welche skurrilen Blüten das heute immer noch treibt.
Ich finde ihn samt Bus und Fahrer im Hafen auf uns wartend, die Freude ist groß, wir haben uns lange nicht gesehen und doch wieder erkannt. Klar, wir sind in 7 Jahren nicht gealtert, stellen wir fest, auch wenn wir nicht mehr ganz so frisch aussehen wie unsere Facebook-Profile. Nun, so viel beschäftigt, wie wir sind, darf man ein Auswechseln der Fotos ja wohl mal vergessen.
Es geht los mit einer Runde durch Belfast.
Rainer lebt hier schon seit ach so vielen Jahrzehnten und kennt sich bestens aus. Er erzählt Interessantes über die Stadt, in der wir zunächst einen Blick auf die Queens University werfen, ein Gebäude, wie es in der Tat auch jenseits der Irischen See in England stehen könnte. Selber Stil.

Am relativ neuen Titanic Museum, ein imposanter silberner Bau, kommen wir vorbei und hören, dass es mittlerweile ein komplett neu saniertes Viertel mit dem Namen Titanic Quarter gibt. Luxussanierung, teures Wohnen inmitten von Banken und Versicherungen. Städte entwickeln sich halt, so auch hier. Geblieben sind allerdings Relikte aus der Zeit des Schiffbaus und der Werften. Zwei Kräne der Firma Blom&Voss dürfen hier unberührt ihre Rente genießen und an frühere florierende Zeiten erinnern.
In der Stadt wiederum halten wir am Rathaus, das nicht nur von außen sehenswert ist. Auch innen ist es lohnenswert, denn es gibt Toiletten. Oh, pardon, was bin ich für ein Banause! Es ist die prachtvolle Ausstattung der Eingangshalle, samt üppiger Treppe und brillantem Deckengemälde, die ich zuerst hätte nennen sollen.

Ein wundervoll verzierter alter Pub, der Crown Liquor Saloon, liegt als nächstes am Weg. Überhaupt, in Belfast kann man bei längerem Aufenthalt auch Abends sehr viel unternehmen. Es ist immer was los.
Es geht weiter durch die Stadt und wird beklemmend, als wir durch die berühmte Shankill Road fahren und die „Peace Wall“ vor uns haben, das ist die Friedensmauer. Oben auf Stacheldraht, dahinter dicht gedrängt die Wohnhäuser. Was für ein Gefühl!
Häuser sind bemalt mit dem Konterfei von Queen Elizabeth II, die Masten von Straßenlaternen sind in britischen Flaggenfarben bemalt. Im Gegensatz dazu auf der katholischen Seite der Republikaner, die sich an einer möglichen Vereinigung mit der irischen Republik festhalten, irische Flaggen und Wandbilder mit solch verstörenden Parolen wie „we will never surrender“.

Trotz der schlimmen Vergangenheit und der sinnlosen Feindlichkeiten, ist das ein Teil Nordirlands, den man gesehen haben sollte. Es macht nachdenklich - wie aber so vieles heutzutage.
Rainer erzählt uns, dass die beiden „Parteien“ tagsüber z.B. in derselben Firma Seite an Seite arbeiten und auch bei Firmenfeiern zusammen ein Bier trinken gehen, aber dann wieder in ihrem Ghetto verschwinden und nichts mehr miteinander zu tun haben. Muss man sacken lassen.

Wir werden schnell auf andere Gedanken gebracht, da wir Belfast nun Richtung Nordküste verlassen und eine wunderschöne Küstenstraße befahren. Leider regnet es, und ich bin untröstlich, suche verzweifelt nach dem Abschaltknopf, denn ich möchte für meine Gäste immer nur gutes Wetter haben. Ich finde ihn aber leider nicht, und auch Google oder irgend eine KI können ausnahmsweise mal nicht weiterhelfen.
Ein Stopp in einem kleinen Ort wäre ein idyllisches Highlight bei gutem Wetter, aber pflichtbewusst fangen wir natürlich dennoch ein Foto vom Hafen ein. Aufgrund es Regens ist dann das Highlight hier eher der SPAR-Markt, wo mal eben ein paar Chipse und sonstige Süßigkeiten zum Überleben abgeschleppt werden.

Zu dem Zeitpunkt ahnen meine Gäste noch nicht, dass sich die Süssigkeitenration noch erhöhen wird, denn am Giant‘s Causeway habe ich in einem Hotel für alle wieder mal Scones mit Clotted Cream bestellt. Jahaaa, hatten wir schon, ist aber die einfachste Methode, mehrere Gäste ziemlich problemlos vor dem Verhungern zu retten. Schließlich gibt’s erst Abends auf dem Schiff wieder was. Eine Kleinigkeit. Oder halt Buffet, wo man dann so sieben bis zehn Sachen nochmal als Schlummer-Snack aufpickt.
Doch zurück zum Giant‘s Causeway. Den besuchen wir nun, wobei uns Rainer wie eine Herde Rinder über eine Wiese traben lässt, damit wir nicht im Besucherzentrum einen Eintritt zahlen müssen für‘s Steine angucken. Nun denn, dann müssen wir natürlich auch auf den Erwerb von Kühlschrankmagneten und sonstigen Stehrümchen verzichten. Es ist schon ein hartes Los als Tourist. Das Ersparte geben wir dann lieber ganz faul für den Shuttlebus runter zu den Steinen aus und für noch einen leckeren Kaffee im Lokal.
Der Giant‘s Causeway ist eine sehr besondere Gesteinsformation. Lauter Sechsecke, in Massen. Wer hat die so geschnitzt? Es ist ein vulkanisches Wunder.

Die geologische Erklärung ist für mich jedoch schwer zu verstehen, so glaube ich lieber an die bestimmt wahre Geschichte vom irischen Riesen, der seinen Rivalen in Schottland heimsuchen wollte und dafür einen Damm nach Schottland anlegte. Dort angekommen, stellte er fest, dass der Rivale doch um einiges größer ist, suchte das Weite und zerstörte dabei den Damm. Und das, was davon übrig geblieben ist, darauf spazieren wir heute. Ist für mich völlig einleuchtend. So und nicht anders muss es gewesen sein.
Es geht zurück nach Belfast zum Schiff. Wir verabschieden uns von Rainer mit dem Versprechen, 2027 wiederzukommen, und zwar auf einer intensiven Nordirlandreise. Das Land hat noch so viel zu bieten, ich habe es von vor Jahren gut in Erinnerung. Kombinieren werden wir es dann auch idealerweise mit den nördlichen Gebieten der irischen Republik.
Es kann unverbindlich vorgemerkt werden, was sofort wieder einige getan haben.
Auf dem Schiff geht es heute mal ins Klanghaus, mir ist so nach ausklingen lassen. Doch da ergattere ich, oh Wunder, noch eine Wellnessmassage. Mit Blick aufs Meer knetet mir eine nicht sehr zimperliche Masseurin die Füße durch. Du meine Güte, heute an meinem freien Tag bin ich wirklich viel gelaufen. Bestimmt etwa 1 km.

Morgen wird das wieder anders. Es geht nach Liverpool und Chester. Kontrastreicher könnte ein Tag nicht sein.
Beatles versus Stadtschreier, Kneipenmeile voller Junggesellinnenabschiede versus nostalgische Fachwerkhäuser.
Bleib dran.
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