Neulich ist mir etwas sehr Besonderes passiert. Ein wunderbarer Buchungsauftrag, der gleichzeitig eine Mission ist, eine Art Zeitreise, ist auf meinem Schreibtisch gelandet.
Eine Kundin hat sich vorgenommen, im August 2026 auf den Spuren ihres Großvaters zum Nordkap zu reisen, und zwar genau so, wie er es vor dann exakt 100 Jahren getan hat.
Nun gut, die Schiffe haben sich ein wenig verändert seitdem, aber die Route wird dieselbe sein. Und ein 100 Jahre altes Tagebuch reist mit.
Diesen sagenhaften Schatz schlug sie dann auf meinem Reisebüroschreibtisch auf, ein Wälzer von bestimmt 60 dicken Fotoseiten.
Ich hatte mich schon gewundert, was für einen antiquierten Terminplaner sie da mitgebracht hat, aber es war eben ein altes Tagebuch prall gefüllt mit den Reiseerlebnissen aus dem August 1926. Ein echter Schatz!
Für einen Moment war die Buchungsplanung für in 2 Jahren beiseite geschoben und ich fragte, ob ich mal blättern dürfte. Natürlich durfte ich, die Frage hatte sie sicherlich erwartet.
Da war zunächst vornan ein kleineres eingelegtes Heft mit tageweisen Erzählungen, notiert in Sütterlin. Wer das nicht kennt, es ist eine alte deutsche Schreibweise des ABC, benannt nach Ludwig Sütterlin, der sie im Jahre 1911 entwickelt hatte, weil das preußische Schulministerium eine Ausgangsschrift für das Lernen der Schreibschrift wünschte.
Der Reisebericht war nur mühsam zu lesen. Einige Buchstaben kannte ich, weil auch meine Oma so geschrieben hat, und ich fand das als Kind unwahrscheinlich hübsch und wollte auch so schreiben können, weil es so schön schnörkelig war.
Am den Reisebericht will meine Kundin auf jeden Fall nochmal ran und jemanden finden, der es noch lesen kann. Erhalten ist der Text ganz wunderbar, kaum verblasst. Es gibt auch bestimmt eine App dafür.
Dann aber nehme ich mir das Fotobuch vor und habe ein wenig Angst, dass sich auf einmal beim Umblättern irgend etwas in Brösel auflöst oder so ähnlich. Aber alles bleibt heile und ich fotografiere ein paar Seiten ab.
Diese Reise im August 1926 wurde durchgeführt von der „Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft“ (damals kam die Schifffahrt noch mit 2 f aus statt 3), und das buchende, auf Nordland spezialisierte Reisebüro war das Reisebüro Walter Bamberger aus Hamburg. Hab ich naürlich gegooglett, gibt´s nicht mehr (oder wer weiss es?). Nun ja, 100 Jahre Reisebüro, also immer Nachfahren finden, die das fortführen wollen, ist auch schwierig. Ich kann sagen, dass mein Reisebüro im Jahre 2090 ganz sicher nicht mehr exisitiert. Dann bin ich nämlich im Ruhestand, also wirklich der ganz ruhige, allerletzte Ruhestand.
Auf die Reise geschickt wurde das Schiff „Monte Sarmiento“.
Preis der Reise für den Opa meiner Kundin waren 230 Reichsmark, wobei ich aktuell nicht weiß, welche Kabinenkategorie er gebucht hatte und ob es überhaupt unterschiedliche Kategorien gab. Das Geheimnis möchte ich für mich noch lüften, doch dazu braucht es mehr als ein paar Seiten zur Inspiration im Reisebüro zu bestaunen. Das ist ein abendfüllendes Programm.
Die Reiseroute war so wie sie heute von Hurtigruten angeboten wird, und das wird dann in 2026 auch die Gesellschaft sein, auf der ich meine Kundin einbuchen werde. Das wird ein aufregendes Abenteuer, und ich wünsche mir, dass ich sie berichterstattend hier in meinem Blog begleiten darf, um zu vergleichen, was vor 100 Jahren geboten wurde und was der Passagier heute erwarten darf, bzw. natürlich schon gewohnt ist.
Der erste Schmunzler erschien in meinem Gesicht schon beim Studieren der Schiffsordnung.
Es wird um 6 1/2 Uhr geweckt! Und dann noch mit Trompetensignal! Du meine Güte, was für ein Urlaub. Da gönnte man einem ja nichts!
Die Kabinen hießen Kammern, zum Baden musste man sich anmelden und hockte dann in Seewasser, wonach die Haare am Ende bekanntermaßen nicht mehr gut föhnbar sind, doch gab es damals überhaupt schon Haartrockner? Und hat das irgend jemanden interessiert?Das will ich aber hier nicht herausfinden.
Und Shuffleboard war also auch schon vor 100 Jahren so ein typisches Schiffs-Gesellschaftsspiel. Ich lese das auch heute noch und weiß aber immer noch nicht so richtig, wie es geht und ob man in dem Moment, wo man ein Kreuzfahrtschiff betritt, automatisch diesen Shuffleboard-Drang verspürt, obwohl man es zu Hause nie spielt.
Vielleicht ist es genauso wie mit dem Drang, im Flugzeug unbedingt Tomatensaft zu bestellen, obwohl man den zu Hause nie trinkt. Das war ja auch eine Zeitlang mal Mode.
Der Punkt „Spirituosen“ ist in Norwegen ja heute noch nicht vom Tisch. Man darf auch nur eine gewisse Menge ins Land einführen und riskiert bei Missachtung eine Geldstrafe und wird vom Zöllner möglicherweise sehr rüde angeraunzt, das hat mein Ehemann einmal schmerzlich durchgemacht und hat die Zöllnerstimme heute noch im Ohr. Doch glücklicherweise wird einem nicht mehr eine Freiheitsstrafe angedroht. Glaube ich zumindest 😉.
Zurück zum täglichen Ablauf auf der MS Monte Samiento.
Auf dem Doppelschraubenmotorschiff gibt es zum Frühstück klassisch Kontinentales - plus Rührei. Morgens Brotsorten und Abends auch wieder. Klassisch deutsch zu der Zeit und auch danach sicher noch für lange Zeit.
Die Erbsensuppe zu Mittag und Nachmittags Kaffee. Man beachte den Zusatz „mit Milch und Zucker“, das scheint also etwas Besonderes gewesen zu sein, dass es extra erwähnt wurde.
Und da haben wir es doch! Ein Bild zeigt den Speisesaal der 3. Klasse. Hätte ich mir ja denken können, dass man Frau Von-und-Zu nicht mit einem einfachen Bürger zusammen reisen lässt. Das Foto zeigt den Speisesaal eines anderen Schiffes, wo immer der Opa das auch her hatte.
Aber es gab ja auch Fotos an Bord und Vorträge über alles Mögliche, da hat er es vielleicht einfach abfotografiert.
Apropos verschiedene Klassen. Dass die Reise 230 Reichsmark gekostet hat, habe ich oben bereits erwähnt, doch was wäre das in heutiger Währung? Und wer konnte sich eine solche Reise erlauben?
Ein Internet-Umrechner hilft, das Netz findet ja alles, nur ob es stimmt, vermag ich nicht zu sagen. Der Betrag soll angeblich heutigen € 1012,- entsprechen.
Ach, man könnte noch so vieles nachforschen, wie z.B. was ein Durchschnittsbürger 1926 verdient hat. Immerhin bezeichnet man die Zeit nach dem ersten Weltkrieg als die „Goldenen Zwanziger“. Ob sie so kurz nach dem Krieg für alle golden waren, das möchte ich noch bezweifeln. Aber der Opa hat halt die Nordlandreise gebucht, ob immer er das locker konnte oder sich einen Traum erfüllt hat ungeachtet eines finanziellen Ruins, in den er vielleicht hätte schlittern können. Es sei ihm gegönnt - die Reise natürlich!
Meine Lieblingsseite von den wenigen, die ich bislang abfotografiert habe, betrifft die Landausflüge und deren perfekte Organisation.
Da mussten, oder sollte ich besser sagen „durften“ die Passsgiere, die keinen motorisierten Landausflug gebucht hatten, sondern sich zu Fuß aufmachten, später aussteigen. Erst wenn die Autos weg waren, konnten sie gefahrlos das Festland betreten, ohne staubig zu werden. Welch eine Belästigung wäre das gewesen? Welcher Dreck an der schönen Kleidung. Es wird damals ganz sicher, zumindest in den höheren Klassen, einen Dresscode gegeben haben, auch auf Landausflügen. Dazu möchte ich gern noch weitere Seiten durchstöbern, denn einige Fotografien haben schon angedeutet, wie man sich damals an Bord kleidete.
Anders heute: Da geht Mann doch eher gar nicht mit Krawatte an Bord, denn man möchte legere Ferien.
Auch achtete man darauf, dass die Fußgänger den Automobilen nicht auf dem Hin- und Rückweg begegneten. Sehr rücksichtsvoll. Und Proviant für unterwegs gab‘s auch.
Fahrplanänderungen gab es auch damals schon. Nicht jedoch aus Personalmangel, weil die Abfertigungsfirma an Land zu wenig Leute hatte oder diese gar gestreikt hätten. Auch nicht, weil ein G7,8,10 oder sonst ein Gipfel tagte, aufgrund dessen der Tourist natürlich woanders hin umgeleitet werden muss, um ein Eindringen in das dann so erlauchte und zu schützende Gebiet zu verhindern.
Nein, ein Streit zwischen einem Hotel und den Behörden führte auf der Opa-Reise dazu, dass Gudvangen nicht angefahren wurde. Das Hotel war geschlossen, die Gäste hätten ihre Essens-Bons dort nicht einlösen können.
So wurde der Reisende schon damals so wenig wie möglich mit dem Alltag und all seinen Problemen konfrontiert. So ist es oft heute noch, obwohl man im Urlaub ja nicht in einer abgeschlossenen Blase ist, sondern in einer realen Welt, wo man durchaus auch mal auf Probleme stoßen kann und vor denen nicht einfach die Urlaubs-Augen verschließen sollte.
Last, but not least, um diese Geschichte nicht zu lang und ohne Langeweile lesbar zu halten, ein Hinweis auf die Ideen der Passagiere an Bord und besondere Events.
Einige Gäste, ich kenne das sogar noch von meinen ersten Rundreisen, die ich vor 34 Jahren gestaltet habe, schrieben gern ein Loblied auf die Reise in Gedichtform. Da wurde immer einer ausgeguckt, der gut reimen konnte, und dann ging‘s los mit nett gemeinten, aber manchmal etwas holprigen Sätzen voller Lobhudelei. Wobei ich sagen muss, dass heutzutage die Feedbacks im Internet, wenn es einem gefallen hat, sehr spärliche Worte finden: Schöne Zimmer, freundliches Personal, gerne wieder.“
So ein Dichterfürst würde heute wahrscheinlich nur müde belächelt, hat sich aber deutlich mehr Mühe gegeben, seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen.
Eine Filmcrew ist auf Opas Reise an Bord, die sollte bitte schön unterstützt werden.
Ein Kostümfest musste man über sich ergehen lassen und dazu sein Outfit noch selber basteln. Und beim Überqueren des Skagerraks gab es eine Gedenkfeier an die schlimme Seeschlacht zwischen Deutschen und Briten.
Dass dann zum Tagesprogramm in „prächtigen“ Lichtbildern unter anderem auch Vorträge über die Eroberung des Baltikums oder die Skagerrakschlacht gehörten, muss ich erst einmal sacken lassen. Zählte man sowas tatsächlich zum Unterhaltungswert einer Kreuzfahrt?
Ich bin jedenfalls hungrig auf mehr und werde meiner Kundin das ganze Werk noch einmal in stiller Stunde entreißen, um mehr zu lesen, mehr Bilder zu sehen und mehr zu verstehen.
1926! Vor fast 100 Jahren machte sich der Opa auf, die weite Welt zu sehen. Eine Welt, die gerade wieder zu Frieden gefunden hatte. Acht Jahre war der Krieg vorbei. Vierzehn Jahre nach dem Untergang der Titanic, und dennoch traute sich der Opa aufs Schiff.
1926 erblickte Queen Elizabeth II das Licht der Welt, Deutschland wurde wieder in den Völkerstaatenbund aufgenommen, Daimler Benz wurde gegründet und ebenso die ( damals so geschriebene ) Deutsche Luft Hansa.
Und der Opa meiner Kundin steht am Norkap mit seinem Proviant-Bütterchen, staubfrei, da möglicherweise zu Fuß unterwegs.
Und das Nordkap ist vom Hafen wirklich sehr weit weg…..
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