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„THE GREAT TAPESTRY OF SCOTLAND“ UND DER TAG DER GESPRÄCHE

Habe ich eigentlich ein Schild vor der Stirn, auf dem steht "Sprich mich jederzeit an - mit allem, was du auf dem Herzen hast"?

Freundliches Augenzwinkern, hier geht es um die Gesprächsbereitschaft der Schotten, oder der Briten ganz allgemein.

Ich besuche gerade das Highlight von Galashiels, das gigantische Stickwerk The Great Tapestry of Scotland, über das ich auch im weiteren Verlsuf dieses Blogposts berichten werde, wenn man mich endlich mal in Ruhe gucken lässt.



Galashiels kann man bequem mit dem Zug von Edinburgh in einer knappen Stunde erreichen. Kostenpunkt pro Strecke aktuell € 12,- .

Da ich noch nichts gefrühstückt habe und es mittlerweile 11:30 h ist, setze ich mich erstmal in das sehr ordentliche Café des Museums auf einen Kaffee und ein Sandwich.

Völlig unerwartet, als ich gerade total versunken in mein Essen starre, spricht mich eine ältere Dame an und fragt, ob ich schon einmal hier war. Nein, es ist das erste Mal. Sie erklärt mir daraufhin, dass sie eine Jahreskarte hat und regelmäßig vorbeischaut. Dann kommt die volle Erklärung, was es da in der ersten Etage zu sehen gibt. Genau das möchte ich ja selbst herausfinden, höre aber freundlich-geduldig zu. Nachdem wir bis zur Schlacht von Stirling Bridge schon einige Jahrhunderte schottischer Geschichte durchgekaut haben, eise ich mich mit einem milden "Sorry" auf den Lippen endlich los, um mir selbst ein Bild zu machen.



Oben beim Eingang bekomme ich noch einmal eine Erklärung. Diese Dame hat mein vollstes Verständnis, denn sie arbeitet hier und muss das tun.

 

Und während ich so durch die Reihen der Ausstellung gehe, spricht mich wieder eine Dame an. Von hinten, ganz unvorbereitet, wo ich gerade über die gestickten toten Leiber der Jakobiter erschüttert bin. Ob mir das gefällt, will sie wissen. Wie meinen? Ob es mir gefällt, dass die Jakobiter abgeschlachtet wurden oder ob mir die Sticktechnik gefällt?


1000 des Stickhandwerks kundige Menschen aus allen schottischen Regionen wurden mit je einem Thema aus Geschichte oder Kultur beauftragt. Die Vorlage wurde auf einem großen Stoffquadrat angeliefert und die farbliche Ausgestaltung, sowie die Stickmuster überließ man den Stickkünstlern.

Etwas über 160 Panele ergeben seit 2013 die nahezu vollständige schottische Kultur und Geschichte in Bildern. Da geht es um Kriege, Tragödien, Sport, Relgion, Monarchen, Wikinger, Römer usw. Es ist schwer zu beschreiben, wie wunderschön das ist.

Mit einer der bereitgestellten Lupen inspiriere ich gerade, wie ein Engländer im Fluss Forth untergeht während der berühmten Schlacht von Stirling Bridge (siehe Bild oben).

"Sticken Sie?" fragt es von der Seite?

Nein, aber ich stricke, und das mit Nadeln Nummer 10, das kann ich ohne Brille sehen. Sticken ist mir zu pfriemelig. Das mit der Nadelnummer sage ich aber nicht laut.

Meine Gesprächspartnerin und ich werden uns einig, dass es eine hohe Kunst ist, die uns da präsentiert wird.



Mary Queen of Scots ist dabei, Queen Elizabeth II auch, Klonschaf Dolly, der Jakobiteraufstand, eigentlich sogar mehrere, die ganzen schottischen Wissenschaftler und Denker der Aufklärung, und davon gibt es wahrhaft viele. Sogar eines der wichtigsten kulturellen und traditionellen Güter, eine Whiskydestille, findet sich in Stickgarn gehüllt an der Wand wieder. Das Wasser des Lebens fließt in Form eines goldenen Garns in einen Bottich.


Nachdem das Wunderwerk einige Jahre durch verschiedene Ausstellungsorte gereicht wurde, hat man es letztlich in Galashiels fest installiert uns extra ein Gebäude dafür errichtet. Auch hier hat sich der Architekt etwas bei gedacht, denn die Form des Museumsdsches soll die verschiedenen Dächer und Giebelformen der umliegenden Häuser reflektieren.

Ich reflektiere auch mal und stelle fest, ich kann das nicht feststellen. Ich bin ja auch nicht kunstschaffend unterwegs.

Das etwas verschlafene Galashiels hat man als Standort ausgewählt, da es schon immer eng mit der Textilindustrie verbunden war.

 

Ich löse mein Zugticket zurück nach Edinburgh und begebe mich zum Bahnhof.

Da ich anscheinend einen Gesichtsaussdruck habe, der sagt "sprich mich an", robbt sich eine Frau mit 3 Reisetaschen an mich heran und sagt.... irgendwas. Ich habe sie nicht verstanden, und es stellt sich heraus, sie kommt aus der Gegend um Glasgow, was meine linguistischen Fähigkeiten total aushebelt. Diesen Dialekt kann ich kaum verstehen.

Als ich ihr sage, ich hatte sie nicht verstanden, hört sie, dass ich aus dem Ausland komme. Ob sie damit nun Edinburgh oder Deutschland meint, ist mir schleierhaft. Sie spricht langsam weiter und erzählt mir, dass schon 3 Züge ausgefallen sind. Einfach so gecancelt. Und nun steht sie da, mit ihrem Gepäck. Und hat noch so einen langen Weg vor sich.


Erzähl mir nichts von ausgefallenen Verbindungen! Hatte ich selber die Woche zur Genüge!

Das verrate ich ihr aber nicht, sonst komme ich aus dem Gespräch nicht mehr raus.

Immerhin nehmen wir denselben Zug und hätten eine Stunde Zeit.

Grundsätzlich freue ich mich, mein Englisch "am Laufen" zu halten, aber heute ist mir einfach nicht nach Small Talk.

Dann sitze ich endlich im Zug und staune über die sich abwechselnden Abschnitte mit Schnee, kein Schnee, Schnee, kein Schnee.

Da mein Blick sich nicht abwendet von der Landschaft, bringt das einen Herrn dazu,

mir zu sagen: "Schön weiß, ist es nicht?"

"Yes, it is ... Indeed."



In Edinburgh angekommen bummele und ich durch alle möglichen Geschäfte. Wenn ich mit meinen Gruppen unterwegs bin, läuft man ja immer nur vorbei, denn es geht schließlich um die Sehenswürdigkeiten. Jetzt aber ist jedes einzelne Lädchen dran, egal was die darin anbieten. Einzig diese etwas nach Plastik- und Synthetikmaterialien müffelnden Einheitsbuden lasse ich aus.

Theoretisch wäre ich jetzt eigentlich auf den Orkney Inseln, aber da ich in Edinburgh gestrandet bin und dort schon viele, viele Male war, fällt mir heute nichts Besseres ein als Extrem-Shopping. Männern, die jetzt den Kopf schütteln und an einen Kaufrausch denken, sei erklärt, dass "Shopping" nicht gleichzusetzen ist mit "kaufen". "Shopping" heißt zunächst einmal "angucken, anfassen, weglegen, nochmal gucken und eventuell kaufen".

Endlich ein Geschäft mit schönen Mützen.

Ich probiere alle möglichn Farben aus und werde prompt von der Seite angesprochen. Eine ältere Frau, also noch älter als ich, verrät mir mit flüsternder Stimme, dass sie die blaue letztens für ihre Tochter gekauft hat. Die steht ihr so gut!

Das ist ja ganz wunderbar für die Tochter, denke ich, sage aber, ich fände die blaue auch am allerschönsten, aber leider steht sie meinem Haar nicht.

 

In einem Charityladen werde ich dann wenigstens für ein Event in unserem Büro fündig. Ganz allein und in Ruhe suche ich eine Flaggenreihe, Cupcake-Förmchen, King Charles-Servietten und zwei total irre Fascinator aus. Am 6.5. gibt's bei uns nämlich "halb-public viewing" für die Grossbritannienliebhaber unter unseren Kunden, und da muss doch wenigstens ordentlich dekoriert werden.



Ich gehe zur Kasse und komme mir auf einmal sehr komisch vor mit meinen Servietten mit Charles-Portait und dem ganzen royalen Gedöns.

Die Kassiererin lächelt milde, spricht mich aber nicht an. Daraufhin dränge ich ihr ein Gespräch auf, nur um gleich mal völlig klarzustellen, dass das nur Deko für mein Reisebüro ist.

Es scheint sie nicht zu interessieren.

Na dann...


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